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Projektübersicht


Projekt

Telefonzellen Unterhaltung: Call


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Komm & Call oder die Lust am Sprechen

Ohne den Begriff von Kommunikation allzu sehr zu strapazieren, sei hier auf die Begriffsdefinition aus dem Duden verwiesen. Kommunikation bedeutet Mitteilung-Verbindung-Verkehr.

In CALL von Edda Strobl wird die Post als Datenübertragungssystem benutzt, einfacher gesagt, das Telefon, noch einfacher gesagt, die Sprache. Nun könnte man einwenden, dies sei schon immer die Funktion von Sprache gewesen. Das Spannende jedoch an der Genese des 19. und 20. Jahrhunderts ist die Zwischenschaltung von Apparaturen, die unsere sinnlichen, sensorischen Fähigkeiten ventilieren. Diese technologischen Innovationen waren von Anfang an mit der Furcht um den leiblichen Körper verbunden, daß einem sprichwörtlich “Hören und Sehen vergeht”. Egal ob Cyber oder Phone.

Im Fall des Projektes von Edda Strobl geht es nicht primär um die vielzitierte visuelle Kommunikation, sondern um die andere, nennen wir sie orale Kommunikation. In Graz und Wien werden Flyer, konzipiert von 23 TeilnehmernInnen, mit einer Message und einer Telefonnummer versehen, in öffentlichen Telefonzellen angebracht. Diese Karten vermitteln unterschiedliche Inhalte – alle aber haben eine konkrete Aussage gemeinsam. Spannung entsteht erst, wenn man dem Aufruf folgt und anruft. Man kann weder erraten, wo man landen wird, außer man ordnet den Code der Telefonnummer einem bestimmten Ort zu, noch ist klar, ob das als öffentlich deklarierte wirklich öffentlich oder nur vorgetäuschte Öffentlichkeit ist. Sicher ist nur, daß es mit Klang, vokal-tonal-atonal, zu tun haben wird, egal ob als interaktive Computerinstallation, als Tonband oder in Form eines realen Gesprächspartners.
Die Auseinandersetzung mit der Dialektik öffentlich-privat ist im aktuellen Kunstdiskurs unter dem Schlagwort des Subjektivismus up to date. Nur mehr im Mikrobereich seien die Dinge überschaubar und kommunizierbar, meint Martin Foster, alias Sugar B., der Erfinder des “verlängerten Wohnzimmers”. Unpolitisch sein liege im Trend – Political Correctness und Medienkritik sind out.

Im Gegensatz zu anderen Medien der Telekommunikation bietet das Telefon eine besondere Form der Zweiheit in Echtzeit. Eine paradoxe Vorstellung ist, daß ein Mehr an Privatheit durch globale Vernetzung entsteht; die Telefonzelle als Paravent im urbanen Raum. Edda Strobls Projekt CALL ist Kunst im öffentlichen Raum, allerdings definiert sie sich nicht mehr wie in den 80ern über Gebäude, Plätze, Brunnen etc., sondern über soziopolitische Fragestellungen, die so thematisiert werden, daß das Publikum auch Leute von “draußen” sind, die meist gar nicht wahrnehmen, daß es sich um eine künstlerische Aktion handelt. Die Personen, die anrufen und nicht informiert sind, werden nicht mehr zwischen privat und öffentlich, zwischem künstlerischer Intervention und Alltag unterscheiden koennen. CALL ist ein Projekt, das sich verschiedener Kommunikationswege bedient und sich gleichzeitig in diesen auflöst.

In Bill & Teds verrückter Reise durch die Zeit, Teil 1, ist es eine Telefonzelle und kein futuristisches Verkehrsmittel, das zur Zeitreise benutzt wird. Die Faszination geht von der Vorstellung aus, daß Telefonieren reisen ohne Körper bedeutet. Bote und Botschaft werden voneinander getrennt. Das Beamen, die fortschrittlichste Fortbewegungsmöglichkeit des 21. Jahrhunderts, zumindest im Raumschiff Enterprise, ist also in dieser Hinsicht die gesteigerte Form von Telefonieren. Die telematische Kultur des 20. Jahrhunderts greift in das bestehende Zeit- und Raumgefüge ein. Die Distanzen sind zwar dieselben geblieben, maschinelle Transportmittel, wie Zug, Auto, Flugzeug verkürzen aber die Zeit ihrer Überwindung. Bei Telegrafie, Telefon und Television werden die Botschaften immaterialisiert und reisen ohne den Körper. Radikalisiert wurde diese Entwicklung durch die binäre Codierung, die alles in Zahlen zerlegt (Binary Digits=binäre Ziffer=bit).
Die Digitalisierung hat auch bei der Post eingesetzt und den Kreis der Entwicklung nach vorne hin wieder geschlossen.

Der Verlust des Körpers ist nicht gleichzusetzen mit einem Verlieren von Lust, sondern ermöglicht eine neue Art der Kommunikation ohne den Körper zu visualisieren. (In der Virtual Reality hingegen wird der Körper wieder re-animiert.) Gerade der Pornomarkt hat hier seine Chancen erkannt und schreibt mit der Hotline-Nummer Gewinne. Telefonseelsorge, Kummernummern diverser Art als soziale Ausformung ohne Aussicht auf materiellen Gewinn sind nicht nur wegen der sofortigen Erreichbarkeit des Ansprechpartners so erfolgreich.

Die Anzeige direkt am Ort der Vermittlung – der Telefonzelle – angebracht, ist eine sehr konzise werbestrategische Überlegung, noch dazu im äußerst preisgünstigen und leicht handhabbaren Medium des Flyers. Edda Strobl findet ihren Ansatzpunkt in der ausgeprägten Flyer-Kultur Londons, wo Telefonzellen als eine von mehreren Sammelstellen für diese subversive Form der Vermittlung von Information fungieren.

Nadja Rottner, 1997


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Maitz O.T. 1997

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Duca O.T. 1997

Lixl O.T. 1997

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Hörtner O.T. 1997

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Strobl Call 1997

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G.R.A.M. O.T. 1997