Walter
Köstenbauer
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Das Fastentuch
Das an zwei dünnen, beinahe unsichtbaren Stahlseilen von der Decke des Altarraumes abgehängte Fastentuch ist knapp 4 x 5 Meter groß, besteht aus 25 Holzrahmen, die mit originalen militärischen Tarnstoffen bespannt sind. 14 verschiedene Nationen sind mit ihren typischen Camouflagemustern vertreten. Alle zusammen ergeben ein gemeinsames Bild, das in ästhetischer Übereinstimmung mit Farbe und Struktur des barocken Hochaltar alle Funktionen eines traditionellen Fastentuches erfüllt. In der quantitativen Addition der Militärstoffe geht es Walter Köstenbauer nicht um eine Leistungsschau kriegerischer Raffinesse – die Stoffbeispiele reichen von Pakistan bis Kalifornien – sondern um den grundlegenden Effekt, dass die deutliche Präsentation der Tarnstoffe ein dem militärischen Anliegen gegenläufiges Resultat erzielt. Der Betrachter findet Gefallen an den malerischen und grafischen Reizen der Textilbeispiele von Pakistan bis Kalifornien. Das Ensemble hat einen hohen dekorativen Effekt. Köstenbauer baut damit eine ästhetische Falle auf. Man vergisst den Kontext und freut sich am schönen Muster. Das textile Militärzeug hat sich vorübergehend seiner abscheulichen Brutalität entledigt, aber es bleibt, was es ist.
Köstenbauer artikulierte in der Projektion seiner Arbeit mehrmals den Gedanken der Versöhnung von gegensätzlichen Positionen und das Anliegen einer Völker verbindenden bildnerischen Geste.
Die Fotoinstallation
In einer inhaltlichen Korrespondenz zum Fastentuch gibt es entlang der Kreuzwegstationen eine Präsentation von 140 Fotos, auf denen man Camouflage-Mode tragende Menschen aus Italien, Slowenien, Ungarn, Australien, Israel, England, Holland und natürlich Österreich sieht. Köstenbauer hat exakt ein Jahr lang Personen fotografiert, die Kleidungsstücke im Military-Look tragen. Eine Serie ist entstanden, die im Kirchenraum von St. Andrä erstmals gezeigt wird.
Tarnkleidung wird mode- und selbstbewusst getragen, nicht um sich zu tarnen, sondern um sich zeitgemäß zu präsentieren. Auffallen durch Tarnkleidung, von der Jacke bis zum Bikini! Der militärische Kontext wird von den meisten Personen, die Camouflage-Mode tragen, vollkommen ignoriert. Das Attraktive ist das oberflächliche Muster, nicht der komplexe Hintergrund militärisch beabsichtigter Tarnung. Die Anordnung der Fotos – bewusst „beiläufig“ in die Rahmen der Kreuzwegbilder gesteckt – eröffnet einen Dialog zwischen den dargestellten Personen und den dramatischen Stationen des Kreuzweges. In jedem Fall geht es um den Menschen: Wer bist Du eigentlich, Mensch? In der Betrachtung des geschundenen, gedemütigten und seiner Kleider beraubten Jesus entdeckt man das Echo der eigenartig klaren Behauptung des Pilatus: Seht, das ist der Mensch ! Die Fastenzeit ist eine Zeit der Enttarnung.
Die mehrteilige Konzeptarbeit von Walter Köstenbauer ist eine raffinierte Nachdenkhilfe und gelungenes Beispiel des Dialoges von zeitgenössischer Kunst mit „alter“ Kunst im barock eingerichteten Kirchenraum.
Hermann Glettler