Formalhaut
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Für Graz hat sich die deutsche Künstlergruppe FORMALHAUT (Ottmar Hörl, Gabriela Seifert, Götz G. Stöckmann) in einer ersten Lesart auf die verschiedenen Erscheinungsformen eines raumschaffenden hautähnlichen Materials eingelassen. Gebräuchliche Einmann-Zelte, also Ready-Mades in der kunsthistorischen Terminologie seit dem Beginn der Klassischen Moderne, wurden in drei möglichen formalen Stadien präsentiert: 98 Stück im installierten Zustand auf einer abschüssigen Wiese zwischen Burggarten und Stadtpark, ein Zelt aufgeschnitten und aufgespannt auf einer Wand des White Cube (Künstlerhaus)und etwa 20 Stück zum Bündel geschnürt, mit einem Schweizermesser und einem Stadtplan von Graz versehen, als Objekte / Multiples an der gegenüberliegenden Wand befestigt. In allen drei Rezeptionsweisen war der Kunststoff-Haut der für den mobilen Einsatz bestimmte Materialcharakter abzulesen. Für das Projekt „Gästehaus“ wie für die anderen bisherigen Realisierungen der Gruppe ist die Fusion von Architektur und Kunst eine entscheidende Ausgangsposition im öffentlichen Raum, da sie die Kunst in einer Sprache ausformuliert, die sich wesentlich von der im Kunstraum gesprochenen unterscheidet, die Architektur hingegen um Elemente bereichern kann, die sie aufgrund ihrer utilitär bestimmten Ausrichtung eingebüßt hat. „Gästehaus“ war ein zur „Nomadologie der neunziger Jahre“ kohärentes Projekt, da es sich in der Ambivalenz des konkreten Raumschaffens und der letztendlich dem Zelt innewohnenden Ortlosigkeit ansiedelte. Die „Site-Specific-Komponente“ von FORMALHAUT stellte sich in der Auswahl des Areals dar: die Parklandschaft des Stadtparks, die der Erholung und der Muße im städtischen Ambiente zur Verfügung steht. Das strenge, schachbrettartige Muster signalisierte eine architektonische Anordnung von Hüllen, denen auch funktional eine architektonische Aufgabe zukommt, nämlich den persönlichen (Schlaf)Raum aus den anderen Funktionen des umgebenden Raumes auszugrenzen. Mit dem Ausgrenzen werden Positionen bestimmt und Hierarchien aufgebaut. Gleichzeitig erfolgt die Repräsentation subjektiver Bedürfnisse, die unter anderem in der „Unterkunft“ ihren Ausdruck finden. Diese Grenzsituation, die für jedes Bauwerk charakteristisch ist, da es als mehr oder weniger kubische Gestalt den Freiraum wie den gewachsenen urbanen Raum parzelliert, also nun in Bereiche des Freien und Verbauten, des Außen und des Innen gliedert, kann sich über das Material generell auch in eine soziale Grenzsituation wenden. Im „Gästehaus“ wird die Situation in jeder Hinsicht noch konkreter, da es sich um eine typisierte mobile Architektur handelt. Sie kann auf der einen Seite für das Ausbrechen aus der wie immer definierten Heimat stehen, ein Ausbrechen, das in Form neugierigen oder abenteuerlustigen Mobilitätsstrebens auftritt, heute aber den vorhandenen Wohnstatus, mit gestiegenem Komfort auch in der „Zelle der Freiheit“ beizubehalten sucht. Auf der anderen Seite stehen transitorische Unterkünfte für im sozialen Gefüge nicht - oder nur als Außenseiter - etablierte Existenzen.
Der einladende Titel „Gästehaus“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses „Haus“ in der speziellen Form des einfachen Zeltes seinen Ort immer bei sich hat, dass es sowohl im städtebaulichen als auch im sozialen Gefüge ortlos ist. Wer hier Gast ist, kann seinen Status nur auf die schützende Hülle beziehen, nicht auf das Gemeinwesen, es sei denn, es geht um die Ränder des sozialen Gefüges, in das man dann provisorisch aufgenommen wird. Die Gestaltveränderung des „Gäste-hauses“ in Richtung der kleinsten möglichen Mobilitätseinheit - als sogenanntes Raumpaket - unterstreicht den Faktor der Ortlosigkeit, fügt ihm aber das jederzeit mögliche Auftauchen von Behausungen an neuen Orten hinzu, die dann kurzfristig besetzt und zur sporadischen Heimat werden.
WF (CD-ROM 2000-3)