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Jochen Gerz
Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann
2009
Burgtor

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Eingeschrieben in einen Bogen des Grazer Burgtors stellt Sigfried Uiberreither (1908–1984), Landeshauptmann und Reichsstatthalter von Steiermark, Fragen. Fragen, die ihn Jochen Gerz den Passantinnen und Passanten, Besucherinnen und Besuchern der Stadt am heutigen wie damaligen Sitz des Landeshauptmanns stellen lässt. Fragen eines nationalsozialistischen Täters zur Komplizenschaft und zum Schweigen der Anderen, der Mehrheit, nicht nur damals in der Zeit der Verbrechen, sondern danach. Er sagt: Ohne euch wäre ich nicht Sigfried Uiberreither geworden. Beispielhaft für die Steiermark und darüber hinaus ist dieses Projekt, das auf einstimmige Initiative des Landtag Steiermark und als Beschluss der Regierung zustande gekommen ist. Es ist der erste Teil einer Folge von öffentlichen Arbeiten von Gerz zum Thema der Verdrängung. Ab 2009 wird mit Hilfe der steirischen Öffentlichkeit und ihrer Autorenschaft eine Arbeit an vielen Orten der Steiermark entstehen.



63 Jahre danach

Die Zeichensetzung am Burgtor ist der Auftakt einer Folge von öffentlichen Arbeitsprozessen, die Gerz zum Thema der Verdrängung initiiert. Ab 2009 wird die steirische Öffentlichkeit in ein künstlerisches Verfahren eingebunden, das die Vermittlung von Text- und Bildinhalten in der Tagespresse für eine breite Erinnerungsarbeit nutzbar macht. Gerz: "Wir wollen zeigen, dass die Öffentlichkeit unterschätzt wird, dass sie fähig ist, Partner der Kunst zu sein." In einem Interview mit der WAZ-Journalistin Juliette Guttmann konkretisiert der Künstler dieses Anliegen und spricht von der "… Überzeugung, dass die Menschen, die wir ,die Öffentlichkeit’ nennen, von der Politik, den Medien und auch der Kultur unterfordert werden. Anders gesagt, dass wir uns selbst nicht genug zutrauen, wenn wir uns damit begnügen, Betrachter und Konsumenten zu sein. Und dies leider mit der gefährlichen Folge, dass die Gesellschaft nicht in der Demokratie ankommt, solange wir uns damit zufrieden geben, in unserem eigenen Leben die Nebenrolle zu spielen. […] Man darf die Kreativität nicht nur Wenigen zutrauen, so wie man die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nur Wenigen zugestehen darf." Die Autorenschaft geht im Rahmen des Projekts 63 Jahre danach vom Künstler auf die Öffentlichkeit – auf WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und ZeitungsleserInnen – über. Ausgangsmaterial sind von ZeitgeschichteforscherInnen verschiedener Disziplinen zur Verfügung gestellte Bilder, die dazu einladen dem Faschismus des NS-Regimes im Alltäglichen zu begegnen. Den LeserInnen einer Tageszeitung kommt es zu, aus diesem Material ihren persönlichen Erinnerungsleitfaden zu wählen. Auch LandespolitikerInnen sind aufgerufen sich einzubringen, sich in den Prozess der Rekonstruktion und Vergegenwärtigung von Vergangenem einzuschreiben. Es entsteht schließlich, so Gerz, "ein Selbstbildnis des Betrachters als Kurator". Mit Hilfe der steirischen Öffentlichkeit und ihrer Autorenschaft wird die von der Öffentlichkeit kreierte und kuratierte Arbeit am Ende an zahlreichen Orten der Steiermark gleichzeitig sichtbar.

63 Jahre danach fordert nicht nur "die Erinnerung" an den Nationalsozialismus heraus – die Zeit der Zeitzeugen geht zu Ende – die Arbeit zeigt eine Kultur, die dem Tun und Erleben jedes/er Einzelnen reale öffentliche Bedeutung gibt. Das Thema von Jochen Gerz ist auch hier die Maske des kulturellen Konsums und der bewundernden Selbstverdrängung, hinter der sich gestern wie heute der Mitläufer verbirgt, der Anderen die Hauptrolle und Verantwortung im eigenen Leben überlässt.

Ein Projekt des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark im Auftrag der Steiermärkischen Landesregierung.