Gerhard
Giessauf
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Anfang der 90er Jahre wird der Bereich Mariahilferstraße-Mariahilferplatz neu gestaltet (Team A) und in eine Fußgängerzone umgewandelt. Bedingt durch die jahrelange Bautätigkeit registrieren die Wirtschaftstreibenden vor Ort massive Umsatzrückgänge. 1993 entschließen sie sich, angeführt durch den Frisör und Leiter der „Innenstadt-Initiative“ Walter Hirth – der schon mit dem “Oskar“ vor seinem Hauptgeschäft in der Herrengasse einschlägige Erfahrungen gesammelt hatte – zu einem künstlerischen „Fußgängerzonenbelebungsprojekt“. [1]
Unter Umgehung sämtlicher Fachgremien, trotz eines ablehnenden Bescheids von seiten der Stadt und auf eigene Kosten beauftragen die Geschäftsleute den Bildhauer Gerhard Giessauf mit der Produktion von „modernen Zunftzeichen“ (Der Emmentaler Käse, Die Nähmaschine, Grazien bei der Haarpflege, etc.), die vor den Geschäftslokalen der zehn beteiligten Firmen aufgestellt werden sollen. Man hofft, mit Hilfe dieses „künstlerischen Gesamtkonzepts“, das „dem Tod geweihte Geschäftsviertel“ in ein „Viertel des Handels, des Gewerbes und der Kunst“ zu transformieren und diesem damit einen „weltweit einzigartigen Status“ zu verleihen. [2]
Im April 1994 wird die „Mur-Galerie“ ohne Genehmigung installiert. Die Skulpturen aus Natur- und Kunststein, Metall und Gusseisen werden fix im Boden verankert und durch den Pfarrer der Mariahilferkirche geweiht. Ergänzend dekorieren SchülerInnen des Realgymnasiums Fröbelgasse in einer „Verpackungsaktion“ geschlossene und verkommene Geschäftslokale mit gemalten Scheinfassaden.
Nach der Eröffnung stehen die Vorgangsweise der „Mur-Galerie“-Initiatoren und die fehlende künstlerische Qualität des Ergebnisses im Zentrum der Kritik: „Man hätte einen Wettbewerb ausschreiben müssen. Das Dargebotene gleicht eher einer künstlerischen Müllhalde.“ (Josef Fink, Rektor des Kulturzentrums bei den Minoriten). [3] Im Rahmen der folgenden Diskussionen „Pro und Contra Mur-Galerie“ werden aber auch Forderungen nach der „Demokratisierung“ von Kunst im öffentlichen Raum erhoben. [4]
Im wirtschaftlichen Kontext kann die „Mur-Galerie“ die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, der erhoffte positive Impuls bleibt aus. Im Vorfeld von „Graz 2003. Kulturhauptstadt Europas“ lassen die Gewerbetreibenden die letzten Skulpturen aus der Mariahilferstraße entfernen. Ein Relikt der „Mur-Galerie“, der „Emmentaler Käse“ befindet sich heute vor dem Geschäft der Fa. Nussbaumer in der Resselgasse.
BK
[1] Walter Hirth, Ansuchen für Fußgängerzonenbelebungsprojekt Mariahilferstraße-Mariahilferplatz, Arbeitstitel „M 44“, 1993 (Ursprünglich ist die Aufstellung von 44 Objekten geplant.)
[2] ebda
[3] zit. nach: Paul Herberstein, Künstlerischer Aufstand im Grazer Bezirk Lend, in: Kleine Zeitung, Graz, 26. April 1994
[4] In einer Diskussionsveranstaltung meldet sich Gemeinderat Ferk (SPÖ), unterstützt von Stadtrat Spielberger (FPÖ), zu Wort: „Nicht nur eine kleine Gruppe hat festzustellen, was Kunst ist.“ Kulturstadtrat Strobl kontert mit einem Vergleich: Kunst sei „wie Fußball, alle schauen zu.“ Und doch müsse man die Existenz von Trainern akzeptieren.
Vgl. Rudy Weissenbacher, Mur-Galerie: Kunst im öffentlichen Raum, in: Neue Zeit, 29. Juni 1994.