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In einem ständig weiter entwickelten Diskurs über die Kunst im öffentlichen Raum fällt zunächst auf, dass die Zentrierung auf inhaltliche und funktionale Strukturen die Ausbildung einer neuen Grammatik belebt, die in vielen Fällen, auf den ersten Blick und aufgrund traditioneller Parameter, das Tabu der „Differenzschwelle“ zur Alltagsrealität bricht und dadurch erst zu einem „Störfaktor“ der konventionellen Ästhetisierung wird[5]. Die künstlerische Intervention kann nicht sofort als Kunstwerk erkannt und ein-geordnet werden. Sie erschließt sich innerhalb eines fest gefügten Zeichensystems als Irritation, als Verfremdung. Das heißt, dass wir über einen neuen Werkcharakter der Kunst nachzudenken haben. Ein solches ortsspezifisches Vokabular meint aber nicht ein als eindimensional bezeichnetes Bezugssystem, das von mancher Seite bereits als Inflation einer Kunst im öffentlichen Raum ge-ortet wurde. Dieses Vokabular konzentriert sich aufgrund der Erfahrungswerte überzeugender Beispiele auf Kohärenz. Kohärent vor allem im Hinblick auf das Konzept und die Pragmatik des Handelns, das heißt im besonderen auf die grundlegende Bezeichnung kultureller, politischer und informationeller Orte, wie sie im realen öffentlichen Raum an fast jeder Ecke, im virtuellen öffentlichen Raum in jeder einfachen Datenbank anzutreffen sind. Die genannten Raumsegmente des Öffentlichen können aufgesuchte Interventionsorte und in der heutigen künstlerischen Praxis ausschnitthafte Interpretationsfelder darstellen.
Diese Wahl eines Interpretationsfeldes ist von Seiten einer künstlerischen Matrix, die im Zusammenhang mit unserem Thema interessiert, gerade deshalb von weitreichender Bedeutung, weil im alltäglichen kulturellen und gesellschaftlichen Funktionsschema dafür keine Interpretation notwendig zu sein scheint. Von der Seite einer Kunst, die sich auf ästhetische, kulturelle und gesellschaftliche Phänomene des Alltäglichen einlässt, stellt sich die zentrale Frage nach möglichen Zusammenhängen, nach dem, was der Kunstproduzent / die Kunstproduzentin als zusammengehörig empfindet und als Dialogebene ausformulieren will. Mit aller Deutlichkeit setzt hier in erster Linie der Rekurs auf ein bestehendes Produktdesign (zum Beispiel in zahlreichen Projekten der Wiener Vereinigung „museum in progress“) in der Weise ein, dass dieses nicht kommentarlos als Annäherungsfaktor oder Deckungsschablone figuriert, um in der Struktur alltäglicher Wahrnehmung Objekte mit Gelenkcharakter zu platzieren oder über eine semantische Dialektik eine Bedeutungsverschiebung herbeizuführen. Es handelt sich von Fall zu Fall (etwa schon bei Raimund Kummer Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre) vielmehr um eine andere Markierung eines Formendepots, das in seiner umfangreichen und jederzeit abrufbaren Speicherfunktion ausdifferenziert werden kann. Paradigmatisch wurde dort auch ein sozusagen parallel dazu etabliertes, vermessenes und ausreichend beschriebenes künstlerisches Gestaltungsrepertoire als Summe bestehender Archive sichtbar gemacht. Es findet ein Wenden struktureller und funktioneller Elemente ins veränderbar „Ästhetische“ statt.
Dieses „Ästhetische“ stellt sich heute mehr denn je nicht mehr nur innerhalb einzelner Bezugssysteme, sondern im Rahmen von Systemverflechtungen dar. Vor allem dann, wenn man das enorme Potential Bildverarbeitender und Bilderzeugender Maschinen in die Waagschale wirft. Davon ist auch und besonders die „Bilderschrift im öffentlichen Raum“ betroffen. Sie findet sich meist nicht an ausgelagerten Orten, sondern im Zentrum unserer Peripherien, sie muss nicht vereinzelt aufgesucht, sondern im Gegenteil aus dem (Über)Angebot exemplarisch ausgewählt werden. Vor allem in dieser visuellen Zeichenhaftigkeit kulminiert ein Überlagerungsvorgang, der beide Schichten - die der Alltagsästhetik und die der Kunstästhetik - aktiviert und auf der Ebene des Differenzierungsphänomens als Methode in den künstlerischen Gestaltungsmodus Eingang finden kann. Die Syntax der Kunst, in Form der Bildelemente, prozessualer Handlungen oder raumspezifischer Anordnungen - extrem wirksam im realen öffentlichen Raum - wird von einer Semantik bestimmt, die sich aus dem „Ausufern“ notwendigerweise neu konstituiert. Auf diesem Weg erweitert sich das Potential des künstlerischen Textes - als Grundmuster jedes Gestaltungsvorgangs - weniger aus sich heraus, vielmehr um die vielfältigen und unterschiedlich disponierten Texte der ästhetischen Standards. Diese setzen sich heute aus einer Unzahl von visuellen Informationen wie Nachrichten, Produktgestaltungen, urbanen Strukturen, (Re)Präsentationsformen, grafischen und räumlichen Ausstattungen und logokultureller Dekoration zusammen.
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[5] Auf diese "Differenzschwelle" als entscheidendes Faktum im Umgang mit und in der Rezeption von Gegenwartskunst im öffentlichen Raum habe ich mehrfach hingewiesen, z.B. in: 2000-3. Artspace plus Interface, Publikation (1997) und CD-ROM (1999) zur gleichnamigen Ausstellung der Neuen Galerie im "steirischen herbst" 1997.